Gendoping

Medizin und Forschung klären permanent neue ­Zusammenhänge des Stoffwechsels auf. Diese ­Erkenntnisse werden auch dazu benutzt, unerlaubte Leistungssteigerungen – Doping – zu erzielen. Bisher mussten Substanzen zur Leistungssteigerung regelmäßig zugeführt werden. ­Basierend auf den ­Entwicklungen der Gentherapie könnten aber in naher ­Zukunft Erbinformationen (DNA) in den Körper ­eingebracht werden, die die Leistungs­fähigkeit eines Sportlers ­mitbestimmen. Diese transgene DNA sorgt dann vor Ort für eine erhöhte ­Produktion körper­eigener, leistungs­steigernder Stoffe.

Gendoping für Sportler

Gendoping könnte aus den folgenden Gründen für Sportler zur Leistungssteigerung von Interesse sein:

  • Gendoping A – Bildung von mehr Muskelmasse bzw. von schnelleren Muskelfasern.
  • Gendoping B – Körpereigene Stimulation der Synthese von Hormonen wie z. B. Erythropoietin oder anderer, anaboler Wirkstoffe. (Quelle: DSHS-Köln)

Der Nachweis von Gendoping A wäre möglich, wenn die­jenigen Substanzen (Carrier) nachgewiesen werden könnten, mit deren Hilfe Gene in die DNA transportiert werden.

Der Nachweis von Gendoping B wäre möglich, wenn Grenzwerte für Hormone festgelegt würden, bei deren Überschreiten eine genmanipulierte Stimulation der Hormonproduktion angezeigt wäre. Individuelle Referenzwerte für Hormone und Wachstumsfaktoren, die jeder Zeit abrufbar sind, wären hier effektive Kontrollparameter. Dafür bräuchte man regelmäßige Profile der Athleten, was mit entsprechenden Kosten verbunden wäre.

In der Gentherapie werden intakte Gene in ein Chromosom mit geschädigtem Gen übertragen. Die Grundidee besteht darin, Patienten fehlende Eiweiße nicht etwa als Medikamente zu verabreichen, sondern diejenigen Gene zu übertragen, die für die Herstellung dieser Eiweiße verantwortlich sind. Das wesentliche Problem beim Gendoping ist die ­Regulierung des Gens. Die DNA im Körper wird nämlich nur dann abgelesen, wenn der Körper die entsprechenden Proteine benötigt oder im Fall von Doping vermehrt zugeführt werden sollen. Man müsste die Gene also ein- und ausschalten und dazu noch die richtige Menge der exprimierten Substanz ­dosiert steuern können.

Rund 30 potenzielle Dopinggene sind zurzeit bekannt, die Bauanleitungen für Blut- und Wachstumshormone sowie ­entzündungshemmende oder schmerzhemmende Faktoren enthalten. In der Medizin ist bisher nur eine Substanz zur gentechnischen Behandlung zugelassen. So wird in China ­eine weit verbreitete Krebsform mit „Genicide“ behandelt. Dabei wird das Gen p53 über ein Adenovirus eingeschleust. Einen weiteren Gentherapieerfolg meldete am 4. April 2006 ein Team der Universitätskliniken Frankfurt am Main und ­Zürich. Sie hatten zwei Erwachsene und ein Kind, die an der Immunkrankheit septische Granulomatose litten, mit körpereigenen Stammzellen behandelt, denen ein funktionierendes Mäusegen eingeimpft worden war. Am 10. April verstarb ­allerdings einer der drei Probanden. Ob sein Tod eine Folge der Therapie war, ist noch ungewiss.

Ansatzpunkte für Gendoping

  • Muskelwachstum
  • Myostatin

Bei den Rinderrassen „Belgian Blue“ und „Piedmontese“, die sich durch die doppelte Muskelmasse im Vergleich zu normalen Rindern auszeichnen, ist aufgrund verschiedener Mutationen das Myostatin-Gen defekt, das als negativer Regulator die Differenzierung der Skelettmuskulatur regelt. Myostatin (GDF-8) gehört als Wachstumsfaktor zu den sogenannten „transforming growth factors“. Würde es nur in solchen ­Muskelgruppen ausgeschaltet, die für die Kraftentwicklung eine wichtige Rolle spielen, könnte damit gezielt Muskelwachstum erreicht werden.

Als Myostatin-blockierende Medikamente wurden kürzlich Antikörper entwickelt, einer davon soll demnächst an Muskel­dystrophie-Patienten getestet werden. Einige Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln werben und verkaufen sogar ­bereits pflanzliche Substanzen, die das Myostatin-Gen angeblich unterdrücken sollen. (Braunalge: Cystoseira canariensis)

IGF-1

Wachstumshormone können ihre volle Wirkung nur entfalten, wenn sie den Botenstoff Insulin like growth factor-1 (IGF-1) freisetzen. IGF1 ist ein anaboles Hormon mit insulinähnlicher Wirkung. Bis heute ist es nicht wie ein Wachstums­hormon nachweisbar und bereits lange auf dem Markt. An der Universität Zürich führte bei gesunden Probanden eine kurzzeitige IGF I-Behandlung zu einer signifikanten Erhöhung der Auswurffraktion und des Schlagvolumens am Herzen. Auch bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz bewirkt kurzzeitige IGF I-Behandlung eine Erhöhung des Schlag­volumens, gleichzeitig eine Verminderung des peripheren Gefäßwiderstandes und des Drucks im rechten Vorhof und damit eine vorübergehende Besserung der Herzfunktion.

Spritzt man Mäusen IGF-1, so entwickelten sie 30?% mehr Muskelmasse als ihre unbehandelten Artgenossen. Bei älteren Tieren war der Effekt höher als bei jungen. Das bestätigt, dass die Muskelabnahme im Alter entscheidend auf diese Faktoren zurückzuführen ist. Bei IGF-1 muss allerdings mit nicht einschätzbaren Nebenwirkungen gerechnet werden, da diese Wachstumsfaktoren auch bei der Regulation von Tumoren bedeutsam sind. Im Rahmen eines EU-Projektes wird am Uni-Sportzentrum Schmelz getestet, wie sich Wachstums­hormone unter Bewegung bei jungen und alten Menschen ändern. Nach Prof. Bachl könnten damit zukünftige Strategien erarbeitet werden, wie der Abbau der Muskulatur im Alter effizient verhindert werden kann.

MGF

Ein weiterer Wachstumsfaktor, der „Mechano Growth Factor“ (MGF), wird im Körper natürlich freigesetzt, wenn der ­Muskel Dehnungsreizen und Belastung ausgesetzt wird. Er führt beim Krafttraining zu 2–3fachem Muskelwachstum und bei mangelnder Bewegung (Gipsverband, Weltraumaufenthalt) zu einer Schrumpfung der Muskulatur bis zu einem Fünftel innerhalb von zwei Wochen.
Prof. Dr. Goldspink (Royal Free Hospital, London) klonte diesen Wachstumsfaktor und spritzte mit Hilfe eines ­künstlichen Gens diesen in die Beinmuskulatur von Mäusen. Innerhalb von nur 2 Wochen wuchsen die Mäusemuskeln um 25?%.

Ausdauersport

PPAR-Gen

Bekanntlich sind Typ I Muskelfasern für die Ausdauer und Typ II Fasern für die Sprinter leistungsentscheidend. Mäusen, denen man die Kopie eines speziellen Gens (PPAR-Gen) verabreichte, konnten im Laufrad doppelt so weit wie die Kontrolltiere laufen, waren schlanker und wogen nach einer 97-tägigen Fettmast ein Drittel weniger. Es ist nur nahe­liegend, dass Pharmafirmen hier Ansatzpunkte zur Entwicklung von Fettsenkern sehen. So wird von GlaxoSmithKline eine Substanz mit der Bezeichnung GW501516 untersucht.

HIF-1

Wird im Ausdauersport die anaerobe Schwelle erreicht, kommt es zur Freisetzung des „hypoxia inducible transcription factor-1”(HIF-1). Fehlt HIF-1, setzt die Zelle die aerobe Energiegewinnung fort und bildet kein Laktat. Die Gruppe um Randall Johnson von der Universität von Kalifornien in San Diego hat mit gentechnischen Mitteln eine „Knock-out”-Maus kreiert, der das HIF-1 fehlt (PLOS Biology 2004;
2: e288). Ihre Ausdauer war gegenüber normalen Mäusen deutlich gesteigert. Die Muskelzellen der „Super-Maus” waren jedoch nach vier Tagen deutlich geschädigt und nicht mehr zu Höchstleistungen fähig.

Repoxygen

Leistungssteigerung im Ausdauersport ist vor allem über die Erhöhung der Blutkörperchen (Erythrozyten) möglich. Dies kann durch Eigenblutdoping (Vorwurf gegen Ullrich und Basso) und durch Fremdblutdoping (nachgewiesen bei Olympia­sieger Tyler Hamilton) erreicht werden. Seit 1989 ist das Hormon Erythropoietin (EPO) synthetisch verfügbar und seither fester Bestandteil der Dopingszene. Das synthetische EPO konnte erst in den letzten Jahren nachgewiesen werden. Würde man ein Gen einschleusen oder das eigene genetische Material so verändern , dass mehr körpereigenes EPO gebildet wird, wäre ein Nachweis unmöglich.

Zur Untersuchung der Wirkung eines erhöhten Hämatokrits auf die Blutgefäße wurde an der Universität Zürich das ­Erbgut einer Maus gezielt so verändert, dass sie einen etwa
20 Mal erhöhten EPO-Gehalt im Blut aufwies. Dies führte zu einer erhöhten Erythrozyten-Produktion, einer Verdoppelung des Blutvolumens und zu einem Anstieg des Hämatokrits von rund 42?% auf etwa 80?%.

1997 und 1998 hatten Wissenschaftler künstliche EPO-Gene bei Affen eingeschleust. Bei beiden Experimenten verdoppelte sich die Zahl der roten Blutkörperchen der Tiere innerhalb von zehn Wochen. Dadurch wurde das Blut so dick, dass es regelmäßig verdünnt werden musste, um ein Herzversagen zu verhindern.

Repoxygen enthält die genetische Bauanleitung für Epo und virales Erbgut als Genvektor. Alan Kingsman ist Geschäftsführer der Oxford Biomedica und gab an, er wäre sehr überrascht, wenn Repoxygen aus den Labors auf den Schwarzmarkt gelangt wäre. Das Unternehmen wollte mit Repoxygen eine Therapie gegen Blutarmut entwickeln. Vor zwei Jahren wurde das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen gestoppt. Wissenschaftler könnten Repoxygen allerdings in anderen Labors nachbauen.

Viel erschreckender ist der mögliche Missbrauch einer ­weiteren Substanz, die nicht in den Bereich des Gendoping fällt:
CERA. Das neue Medikament zur Bildung roter Blutkörperchen reichte die Firma Roche im April 2006 bei der FDA zur Zulassung ein. Laut Roche ist CERA ein innovatives Prüf­medikament gegen Blutarmut. Es handelt sich dabei einen kontinuierlichen Aktivator der Rezeptoren für die Bildung roter Blutkörperchen (Continuous Erythropoietin Receptor Activator, CERA). Das Medikament dockt an den Rezeptor der Erythropoietin-produzierenden Zellen an und dies führt zur Produktion des körpereigenen, nicht nachweisbaren EPO. Im Gegensatz zu EPO (3x wöchentlich) und NESP
(1x ­wöchentlich) muss CERA wohl nur einmal im Monat gegeben werden!

Nachweis von Gendoping

Im Mai 2006 berichtet die Medizinische Universitätsklinik Tübingen über eine neue Methode transgene DNA im Blut nachzuweisen und damit das „Aus“ für Gendoping-Sünder.
Die Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Gendoping im Blut nachweisen lässt. Bei transgener DNA fehlen bestimmte Sequenzabschnitte, die in fast jedem menschlichen Gen vorhanden sind – die sogenannten Introns. Mit Hilfe dieses Unterschiedes und durch Einsatz und ­Modifikation der sich bereits als erfolgreich erwiesenen single cell PCR entwickelten die Forscher der Universität Tübingen ein Verfahren, mit dem die wichtigsten dopingrelevanten, transgenen DNAs hochsensitiv nachgewiesen werden
können.

Gefahren

Alle Versuche und Studien zeigen, dass der Einsatz von Genmaterial zum Missbrauch enorme Gefahren birgt, die tödlich enden können. Zudem ist im Zusammenspiel des Körpers bei vielen Substanzen die Wirkung weitaus vielfältiger, als man sich dies für die gezielte Wirkung wünscht. Die Evolution des Menschen hat Jahrmillionen benötigt, um dieses Zusammenspiel zu optimieren. Gesunde Menschen können damit wohl nur ihren Organismus einer nicht vorauszusehenden Störung des inneren Gleichgewichtes aussetzen. Zudem ist der Prozess wohl schwer wieder umkehrbar. Für genkranke Menschen bleibt dies allerdings weiterhin eine große Hoffnung.

Autor: Dr. med. Klaus Pöttgen

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