Patellofemorale Schmerzsyndrom beim Sportler

Das patellofemorale Schmerzsyndrom beim Sportler (Femoropatellares Schmerzsyndrom)
Multimodales Therapiekonzept

Das patellofemorale Schmerzsyndrom (PFPS = patellofemoral pain syndrome) ist eine häufige Ursache für den „vorderen Knieschmerz“ und betrifft vor allem weibliche Athletinnen ohne wesentliche pathologische Veränderungen am Gelenkknorpel. Bei erfolgloser konservativer Therapie wird oft voreilig die Indikation zu einer operativen Intervention gestellt. Dabei liegen diesem Krankheitsbild keinerlei strukturelle Veränderungen zu Grunde, die einer operativen Therapie zugänglich wären. Für die Diagnose PFPS müssen andere Ursachen für den vorderen Knieschmerz ausgeschlossen werden.

Durch das funktionelle Malalignement entsteht ein Circulus vitiosus

Ursächlich für das PFPS ist meist ein funktionelles Malalignement. Das bedeutet, es besteht eine valgische Stellung des Kniegelenkes, die durch eine Innenrotation von Femur und Tibia verstärkt wird. Durch die valgische Stellung des Kniegelenkes kommt es zu einer Lateralisation der Patella mit Schmerzen, die in den Ansatzbereichen des Streckapparates entstehen. Auch eine lokale Synovialitis, entzündliche Veränderungen am Hoffaschen Fettkörper oder ossäre Ödeme kommen als Ursachen für patellofemorale Schmerzen infrage. Diese Ursachen sind für Patienten mit einem PFPS jedoch wenig wahrscheinlich. Im retropatellaren Knorpel selbst können Schmerzen nicht entstehen, da der Knorpel nicht innerviert ist.

Als Auslöser des PFPS kommt eine sportliche Überlastung des Femoropatellargelenkes infrage (z.B. zu hohe Trainingsintensität). Die lokale Überbeanspruchung der Strukturen des Patellofemoralgelenkes wird durch die Lateralisation der Patella bedingt. Das funktionelle Malalignement entsteht nicht im Kniegelenk, sondern durch Muskelschwächen im Bereich der Hüfte und durch Fehlstellungen im Bereich des Fußes. Eine verstärkte Innenrotation des Femurs kann durch eine Schwäche der Außenrotatoren und Abduktoren im Bereich des Hüftgelenkes bedingt oder verstärkt sein. Eine Innenrotation der Tibia kann funktionell durch einen Pes plano valgus bewirkt sein. Dieses Problem kann vor allem bei Laufsportlern Grund für Schmerzen im Femoropatellargelenk sein.

Begleitend liegen oft muskuläre Dysbalancen im Bereich der Muskulatur des Oberschenkels vor. So weisen Patienten mit PFPS oft eine Schwäche des M. vastus medialis auf, insbesondere des M. vastus medialis obliquus. Ein kontrakter Tractus iliotibialis kann über die Kaplanschen Fasern die Patella nach lateral ziehen und evtl. auch zu einer Verkippung führen. Kontrakturen im Bereich der ischiokruralen Muskulatur können zu einer vermehrten Beugehaltung und so zu einer zunehmenden Beanspruchung des Femoropatellargelenkes führen. All diese Veränderungen können zu einer hohen Beanspruchung der Patella und ihres Halteapparates führen. Durch die Schmerzen kann ein Teufelskreislauf entstehen.

Durch vorderen Knieschmerz wird die Muskelaktivität des M. quadrizeps weiter gehemmt. Das erklärt, warum ein Muskelaufbau oft sehr zögerlich eine Wirkung entfaltet. Zusätzlich können bei diesen Patienten natürlich auch morphologische Veränderungen im Femoropatellargelenk vorliegen, die eine Lateralisation begünstigen. Zu diesen Veränderungen zählen die Gleitlagerdysplasie, die Rotationsfehlstellung des distalen Femurs oder auch eine vermehrte Laxität des Bandapparates. Oft liegen bei Patientinnen auch Probleme im Bereich der LWS vor. Durch eine verminderte LWS-Lordose kommt es dabei zur vermehrten Beckenkippung und kompensatorisch zur vermehrten Beugehaltung im Kniegelenk mit einer vermehrten Beanspruchung des Femoropatellargelenkes. Nicht zu unterschätzen sind auch psychische Faktoren. Das betrifft vor allem Fälle, in denen die Kniebeschwerden durch sekundären Krankheitsgewinn verstärkt werden.

So kann durch die Kniebeschwerden gewünschte Aufmerksamkeit erzielt werden. Das kann besonders auch junge Leistungssportlerinnen betreffen, die den steigenden Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Die Kniebeschwerden dienen dann als Erklärung für die Leistungsstagnation oder den Leistungsknick.

Ein operatives Vorgehen ist meist sinnlos

Viele junge Athletinnen werden mit der „MRT-Diagnose“ eines erst- bis zweitgradigen Knorpelschadens und einer radiologisch „leicht“ lateralisierten Patella zugewiesen, verbunden mit der Frage, ob eine operative Intervention notwendig sei. Dabei spielt der Druck von Trainern und Beratern eine nicht unerhebliche Rolle. Die Therapie des PFPS ist in erster Linie konservativ. Dabei ist es sehr wichtig, den Patienten zum Therapiebeginn realistisch über den Verlauf der Erkrankung und die lange Therapiedauer aufzuklären, um ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Bei anfänglich ausbleibenden Erfolgen kann sonst schnell eine Frustration entstehen, die dann zum Arztwechsel führt. Außerdem wächst die Bereitschaft der Patienten, sich operativen Maßnahmen zu unterziehen.

Ein multimodales Therapiekonzept ist entscheidend

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) können kurzfristig zur Schmerzreduktion bei Patienten mit PFPS beitragen und eignen sich daher für die Therapie akuter Schmerzen. Erst wenn die Patella passiv wieder zentriert ist, können die Muskeln ihre volle Funktion wieder entfalten. So kann der Teufelskreislauf Malalignement – Lateralisation – Schmerz unterbrochen werden. Tape-Verbände und Orthesen können der Lateralisation der Patella entgegenwirken und diese so wirksam entlasten. In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass klassische Tapeverbände einen positiven Effekt auf die Beschwerden bei PFPS haben. Die bekannteste Applikationsform ist das McConnel Tape.

Der positive Einfluss des Tapes auf Schmerz und Funktion erklärt wahrscheinlich auch den synergistischen Effekt von Tape und Physiotherapie. Nachteil des Tapes ist, dass er nach 1-2 Tagen erneuert werden muss und der Patient diese Aufgabe nur schlecht selbst übernehmen kann. Daher ist diese Therapieform sehr aufwändig und teuer. Konfektionierte Orthesen können daher eine Alternative darstellen. Auch für dieses Hilfsmittel liegen Daten aus dem Schrifttum vor. Eine neue Orthese, die die rezentrierende Kraft über ein Federsystem erst mit zu nehmender Streckung aufbaut, ist die Patella Pro (Otto Bock, Duderstadt) (Abb.). Dieses Konzept macht Sinn, da die Instabilität im Femoropatellargelenk mit Lateralisation erst entsteht, wenn die Patella streckungsnah das femorale Gleitlager verlässt. Biomechanische Tests haben dieses Wirkprinzip im Vergleich zu anderen Orthesen bestätigen können.

Erste Erfahrungen beim Einsatz dieser neuen Patellazügelungsorthese bei Patienten mit PFPS sind positiv. Ein Pes plano valgus kann eine Innenrotation und damit eine valgische Stellung der unteren Extremität begünstigen. Daher sollte bei der Kombination von Pes plano valgus und patellofemoralem Schmerzsyndrom der Versuch unternommen werden, die Fehlstellung des Fußes durch eine Einlage auszugleichen.

Physiotherapie

Da muskuläre Dysbalancen in der Pathogenese des patellofemoralen Schmerzsyndroms eine große Rolle spielen, sind physiotheraspeutische Übungsprogramme als kausale Therapieform anzusehen. Es existieren mehrere Studien, die physiotherapeutische Übungsprogramme bei Patienten mit PFPS untersucht und mit Kontrollgruppen ohne Übungen verglichen haben. Die Übungen hatten das Ziel, den M. quadrizeps zu kräftigen. Alle Studien haben einen signifikanten Effekt der Übungen auf die Schmerzreduktion zeigen können. Nur ein gezieltes Bewegungsprogramm kann den Erfolg der Rehabilitation sichern. Das Patella Move-Programm umfasst standardisierte Übungen für das Kniegelenk, die der Patient langfristig auch in Eigenregie durchführen kann.

Es ist in vier Einheiten unterteilt: Schmerzreduktion, Aktivierung, Balance und Koordination sowie Kräftigung. Es ist als kurze Übungsanleitung mit entsprechenden Abbildungen erhältlich. Es ist aber empfehlenswert, wenn die Übungen mit einem Physiotherapheuten erlernt werden, um Fehlbelastungen zu vermeiden. Da das femoropatellare Schmerzsyndrom aber mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis einer komplexen intermuskulären Koordinationsstörung ist, sollte sich die physiotherapeutische Behandlung nicht nur auf das Kniegelenk fokussieren. Ein umfassendes physiotherapeutisches Therapiekonzept setzt eine sorgfältige muskuläre Funktionsanalyse voraus.

Phasenadaptierte Therapie

Bei der Behandlung des femoropatellaren Schmerzsyndroms können drei verschiedene Phasen unterschieden werden: die Akutphase, die subakute Phase und die Phase der Sekundärprävention. In der akuten Phase kommen NSAR und die Patella Pro unmittelbar zum Einsatz. Sportliche Belastungen sollen vermieden werden. In der subakuten Phase bei Nachlassen der Entzündungssymptomatik kann bei angelegter Rezentrierungsorthese mit dem Patella Move-Programm unter physiotherapeutischer Anleitung begonnen werden.

Gleichzeitig werden weitere für das funktionelle Malalignement verantwortliche Muskelgruppen adressiert. Es kommen Kräftigungs- und Dehntechniken zum Einsatz. In der Phase der Sekundärprävention sollte die Orthese langsam abtrainiert werden, wenn die intra- und intermuskuläre Koordination wiederhergestellt ist. Die Übungen sollten bis zur vollständigen Schmerzfreiheit fortgeführt werden. In dieser Phase kann auch wieder mit dem sportartspezifischen Training begonnen werden.

Fazit

Im konservativen Bereich bestehen verschiedene Therapieoptionen. Die am besten untersuchten Therapieformen sind die Physiotherapie, Tape und Orthesen, Einlagen sowie die pharmakologische Therapie (Abb. 3). Aus diesen Therapieformen sollte ein multimodales Konzept individuell für den Patienten zusammengestellt werden. Dieses sollte auch psychologische Aspekte berücksichtigen. So kann es in manchen Fällen hilfreich sein, auf das Problem des möglicherweise gestiegenen Leistungsdruckes im Sport hinzuweisen.

Autoren: Prof. Dr. med Wolf Petersen, Dr.med. Andree Ellermann

Dieser Artikel stammt aus dem Archiv der ehemaligen Seite medicalsportsnetwork.de. Er wurde mithilfe der Wayback Machine (archive.org) rekonstruiert um weiterhin zur Verfügung zu stehen.