Sanftes Krafttraining

Die Kraft gilt seit der Antike als ein zentraler Faktor der Körperkultur. Heute ist die große Bedeutung eines fitnessorientierten Krafttrainings für die Figurformung, die Körpergewichtskontrolle, den Muskelaufbau, die ­Prävention und Rehabilitation von Beschwerden des ­Bewegungsapparates, die Leistungsfähigkeit im Alltag und im Sport in Fachkreisen unbestritten und wird inzwischen auch von vielen Nichtsportlern erkannt.

Das Krafttraining gibt uns allerdings immer noch zahlreiche Rätsel auf: Welche Übung ist die effektivste? Welche Aus­führung bringt den größten Erfolg? Welche Methode ist ­optimal?

Übungen, Definition

Am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth werden diese Fragen seit 1990 systematisch untersucht. In diesem Beitrag sollen Forschungsergebnisse zum sanften Krafttraining dargestellt werden. Beim sanften Krafttraining wird die einzelne Trainingsserie (Satz) nicht wie im herkömmlichen Training bis zur letztmöglichen Wiederholung (also vollständigen kurzfristigen Ermüdung des Muskels) durchgeführt, sondern deutlich vorher abgebrochen.

Wir ­haben zum sanften Krafttraining eine Vielzahl an Unter­suchungen mit ca. 400 Probanden durchgeführt (BUSKIES 1999 und 2001, BOECKH-BEHRENS/BUSKIES 2006) und als Kriterium für die Beendigung der einzelnen Serie das individuelle subjektive Belastungsempfinden eingeführt, ein Parameter, der sich zur Steuerung der Intensität im Ausdauertraining schon über Jahre bewährt hat (WEITL 1999), im Krafttraining aber bisher unberücksichtigt geblieben ist. Bei einem sanften Krafttraining geht der Trainierende in ­Ab­hängigkeit vom Trainingsziel (z.?B. Muskelaufbau oder Kraftausdauer) folgendermaßen vor: Für ein Kraftausdauertraining beispielsweise wählt er durch Ausprobieren eine Gewichts­belastung z.?B. an der Beinpresse, bei der er die Belastung ab ca. der 15.–20. Wiederholung (für ein Muskelaufbautraining ab ca. der 8.–12. Wiederholung) als mittel bzw. schwer empfindet.

De Facto könnte der Trainierende bei ­­einem Training bis zur muskulären Ausbelastung also wesentlich mehr Wiederholungen mit dem entsprechenden Gewicht bewältigen.

Subjektives Belastungsempfinden

Bei einem Training nach dem subjektiven Anstrengungsempfinden mittel oder schwer bei nicht speziell krafttrainierten Sportstudenten, die ja in der Regel über einen besseren muskulären Trainingszustand verfügen als der Einsteiger oder „Normal-Freizeitsportler” nach einigen Trainingswochen enorme Maximalkraft- und Kraftausdauerverbesserungen erzielt werden, die nicht sehr viel geringer sind als die Zuwächse, die bei einem „harten” Krafttraining bis zur letztmöglichen Wiederholung (Ausbelastung) im Satz erreicht werden. Das Trainingsprogramm wurde dabei dreimal wöchentlich über acht Wochen durchgeführt und bestand aus sechs Übungen mit je vier Sätzen und ca. 15±3 Wiederholungen.

Die Bedeutung des subjektiven Belastungsempfinden als Steuerparameter und die großen Kraftzuwächse beim sanften Krafttraining konnten wir später in Trainingsuntersuchungen an zahlreichen Zielgruppen wie Ältere, Kinder im Alter vom 10–15 Jahren oder trainierte und untrainierte Erwachsene im mittleren Lebensalter nachweisen. (BUSKIES 1999, REUTER/BUSKIES 2003)

Veränderung des Körpers

Interessant ist im Zusammenhang mit einem sanften Krafttraining auch der Einfluss auf die Körperform. Während kraftuntrainierte Männer nach einem Trainingszeitraum von acht Wochen Umfangszunahmen an den Messstellen Brust, Oberarm und Oberschenkel verzeichneten (ein Training bis zur Ausbelastung erbrachte keine zusätzlichen Effekte), kam es bei Frauen nach einem zehnwöchigen Training im Durchschnitt zu einer Umfangsabnahme an den genannten Körperstellen einschließlich der Taille. Auch der Körperfettanteil sank vor allem in Abhängigkeit vom Eingangswert.

Je höher der Körperfettgehalt zu Beginn des Trainings war, desto ­größer waren die Reduktionseffekte. Untersuchungen an ­unserem Institut zum Energieverbrauch beim sanften Krafttraining mittels Atemgasanalysen belegen in diesem Zusammenhang, dass der Fettstoffwechsel auch nach dem Kraft­training noch längere Zeit erhöht ist (ZAPF et al. 1999).

Im Vergleich zu einem Training bis zur muskulären Aus­belastung in der Serie kommt es durch das sanfte Kraft­training auch zu einer deutlichen Minimierung möglicher Gefahren im Krafttraining.

Zeitraum

Im Gesundheits- und Fitnesskrafttraining geht es primär nicht darum, in möglichst kurzer Zeit maximale Trainings­adaptationen zu erreichen. Das Training sollte langfristig über Monate und Jahre – im Optimalfall lebenslang – durchgeführt werden, wobei die Trainingsbelastung immer an den individuellen Zielen und an der Belastungsverträglichkeit auszurichten ist. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Kraftgewinne bei einem sanften Krafttraining vollkommen ausreichend. Im Gegensatz zum Leistungssport besteht im gesundheits­orientierten Training das vorrangige Ziel auch nicht darin, die Leistung stetig zu steigern bzw. einen progressiven Zuwachs an Maximalkraft und/oder Kraftausdauer zu erzielen.

Bei ausreichend ausgeprägten Kraftfähigkeiten kann beispielsweise das Ziel des Krafttrainings im Gesundheitssport in erster ­Linie darin liegen, das vorhandene Kraftniveau zu erhalten. Unter dem Aspekt des Gesundheitssports stehen Aufwand, Effektivität, Belastung und Risikokomponente bei einem Krafttraining, dessen Einzelserie deutlich vor dem Erreichen der letztmöglichen Wiederholung abgebrochen wird, in einem erheblich günstigeren Verhältnis zueinander als bei einem Training mit Serien bis zur muskulären Ausbelastung.

Für wen und was geeignet?

Das sanfte Krafttraining bietet sich dabei insbesondere bei folgenden Personengruppen an: älteren Menschen, die häufig eine reduzierte Belastungsverträglichkeit und breitgefächerte motorische und gesundheitliche Defizite aufweisen; Kindern und Jugendlichen mit ihrer entwicklungs-physiologisch bedingten geringeren Belastungstoleranz; Personen, die die „Schmerzgrenze” im Sport nicht überschreiten und sich im Training nicht überwinden wollen; für Menschen mit eingeschränkter Belastbarkeit bzw. orthopädischen und internistischen Beschwerden, sowie generell im gesundheits- und ­fitnessorientierten Training.

Aber auch im Leistungssport sind Trainingsziele, Trainingsperioden oder Sportarten denkbar, für die sich ein sanftes Krafttraining nach dem subjektiven Belastungsempfinden anbietet. Dies gilt z.?B. für ein Kompensationstraining von Muskelgruppen, die nicht unmittelbar für die Wettkampfsituation leistungslimitierend sind, oder die Schaffung einer erhöhten Belastungsverträglichkeit in der Vorbereitungsperiode.

Autor: Prof. Dr. Dr. Wolfgang Buskies

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