Chirurgie – Kahnbeinbruch

Chirurgie –  Kahnbeinbruch: Wenn die Hand Schiffbruch erleidet
Der Kahnbeinbruch (Skaphoidfraktur) ist mit über 80 % der häufigste Knochenbruch im Bereich der Handwurzel

Das Kahnbein (lateinisch Os scaphoideum) – benannt nach seiner wie ein „Schifflein“ gewundenen Form – ist ein wesentlicher Baustein des Handgelenks. Es hat unter den acht Handwurzelknochen eine zentrale Bedeutung und nimmt an nahezu allen Bewegungen des Handgelenks teil. Außerdem bildet das Kahnbein einen großen Teil der Gelenkfläche zwischen Unterarm und Handwurzel und vermittelt die Kraftübertragung zwischen Speiche und Daumen.

Ein Kahnbeinbruch entsteht meistens durch einen Sturz auf die ausgestreckte Hand und ist relativ häufig bei Kontaktsportarten wie Fußball, Handball, Rugby, Football, Eishockey und Trendsportarten wie z.B. Inline-Skating. Besonders gefährdet sind Torhüter, bei denen der Kahnbeinbruch durch den harten Anprall des Balles gegen die Hand entstehen kann. Eine Häufung ergibt sich gerade auch in der kalten Jahreszeit durch den Wintersport, vor allem beim alpinen Skilauf und Snowboarden, jedoch auch beim vermeintlich „harmloseren“ Skilanglauf. Bei Kampfsportarten kann der Kontakt mit dem Gegner beim Fauststoß zum Kahnbeinbruch führen, beim Eishockey oder Feldhockey durch einen Schlag mit dem Sportgerät auf die Hand. Selten ist der Ermüdungsbruch als Folge einer chronischen Überlastung, z.B. beim Turnen (Stressfraktur).

Diagnose erzwingen!

Die Kahnbeinfraktur der Hand ist der am häufigsten übersehene Knochenbruch. Nicht selten gehen die betroffenen Sportler bzw. auch „normale“ Patienten davon aus, dass die Hand „nur verstaucht“ ist. Die Schwellung, die Schmerzen sowie die Einschränkung der Handgelenkbeweglichkeit müssen nicht sehr stark ausgeprägt sein. Manchmal schmerzt das Handgelenk bei Stauchung des Daumens. Relativ typisch, aber nicht immer vorhanden sind Schmerzen bei Druck in die so genannte Tabatière (französisch „Tabakdose“):

Das ist der durch mehrere Daumensehnen begrenzte Bereich zwischen dem Griffelfortsatz der Speiche und dem ersten Mittelhandknochen, der bei Streckung des Daumens wie eine Tabakdose vertieft ist und aus dem Tabak geschnupft werden kann.
Ein Kahnbeinbruch muss sicher diagnostiziert oder aber ausgeschlossen werden! Warum? Wird die Diagnose nicht gestellt und erfolgt keine angemessene Behandlung, verschlechtern sich die Heilungsaussichten. Eine wesentliche Besonderheit dieses Knochens ist nämlich seine relativ schlechte Blutversorgung, die bei einer Fraktur noch mehr gestört werden kann. Dies wiederum bedeutet, dass das Risiko der ausbleibenden knöchernen Heilung hoch ist. Tritt dieser Fall ein, entsteht eine Pseudarthrose, die unerwünschte Ausbildung eines „falschen“ Gelenks zwischen den beiden nicht verheilten Bruchstücken.

Etwa 70 % der Kahnbeinfrakturen sind im mittleren Drittel dieses Knochens lokalisiert. Die Diagnostik muss auch potenzielle Begleitverletzungen aufdecken, z.B. einen Speichenbruch oder Bänderrisse im Bereich der Handwurzel. Grundsätzlich erfolgt eine Röntgenuntersuchung. Erschwerend für die Diagnosestellung ist, dass der Bruch oftmals im Röntgenbild primär nicht oder nur bei genauem Hinsehen zu erkennen ist. Daher werden nicht nur Aufnahmen in zwei Ebenen – wie meistens im Rahmen einer Röntgendiagnostik – angefertigt, sondern weitere Projektionen (z.B. „Skaphoid- Quartett“, Stecher-Spezialaufnahme). Ist dann keine Fraktur erkennbar, sollte bei begründetem Verdacht eine Schichtung erfolgen:

Dabei hat die Kernspintomografie als „Suchmethode“ zwar den Vorteil, dass sie keine Strahlenbelastung bedeutet und außerdem Begleitverletzungen aufdecken kann, z.B. Bänderrisse. Im Hinblick auf die Therapieplanung ermöglicht allerdings die Computertomografie in Dünnschicht-Technik eine bessere knöcherne Beurteilung sowie eine exakte Darstellung des Frakturverlaufs und einer eventuell vorhandenen Fehlstellung. Typisch ist die „Humpback“- oder „Buckel“- Deformität (englisch humpback). Dabei kommt es zum Abknicken des peripheren Bruchstücks nach palmar (zur Handinnenfläche) mit Buckelbildung der dorsalen (handrückenseitigen) Kahnbeinfläche.

Therapie? Meistens operieren, nicht nur bei Sportlern!

Bei den meisten Kahnbeinbrüchen, auch den nicht verschobenen, wird heute die Operation durch eine Verschraubung empfohlen. Dann nämlich betragen die Heilungschancen über 90 %, außerdem ist postoperativ eine Ruhigstellung allenfalls für wenige Tage erforderlich. Wird nicht operiert, so ist für bis zu drei Monate (!) eine Ruhigstellung im Gips- oder Kunststoffverband notwendig und zwar Unterarm und Handgelenk unter Einschluss des
Daumengrundgelenks – manche Ärzte empfehlen sogar immer noch einen Oberarmgips. Eine derart lange Immobilisierung wollen die meisten Sportler verständlicherweise nicht, zumal auch trotz konsequenter konservativer Therapie die Heilung ausbleiben und eine
Pseudarthrose entstehen kann.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es einige wenige stabile Bruchformen gibt, bei denen eine Operation nicht erforderlich ist und eine Ruhigstellung für etwa sechs Wochen reicht, wie z.B. bei einer nicht verschobenen Fraktur am peripheren Kahnbeinpol.

Prognose bei richtiger Behandlung fast immer gut!

Das Handgelenk darf bei angemessener Therapie und ungestörtem Verlauf nach etwa 3–4 Monaten wieder voll belastet werden, wenn die Röntgenuntersuchung zeigt, dass der Kahnbeinbruch verheilt ist. Eine spätere Schraubenentfernung ist in der Regel nicht notwendig.

Selten kommt es leider auch trotz korrekt ausgeführter Behandlung bzw. Operation zum Ausbleiben der knöchernen Heilung. Mit anderen Worten: Der nicht verheilte – vor allem aber der nicht erkannte Kahnbeinbruch – führt zur Pseudarthrose. Aus der Kahnbeinpseudarthrose entwickeln sich dann meist eine schmerzhafte Handgelenkarthrose sowie eine Gefügestörung im Bereich der Handwurzelknochen, der so genannte Handwurzelkollaps (englisch SNAC-Wrist = scaphoid nonunion advanced collapse). Die Pseudarthrose kann zunächst über Jahre keine oder nur geringe Probleme verursachen, insbesondere bei Sportlern, die keine handgelenkbelastende Sportarten ausüben.
Gelegentlich wird eine Kahnbeinpseudarthrose auch als Zufallsbefund entdeckt, wenn nach einem Sturz oder aus anderen Gründen die Hand geröntgt wird. In diesen Fällen darf die Pseudarthrose dann nicht mit einem frischen Kahnbeinbruch verwechselt werden.

Die Kahnbeinpseudarthrose sollte möglichst frühzeitig – also bevor Folgeschäden bestehen – operiert werden, dann betragen die Heilungschancen noch 80 –90 %. Die Operation ist viel aufwändiger als bei einem „frischen“ Bruch: Entfernung von minderwertigem Narbenund Knochengewebe, Beseitigung der Fehlstellung, Knochentransplantation mit Entnahme des Knochentransplantats vom Beckenkamm, Verschraubung.

Fazit

Ist es aufgrund einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur erst zur Handgelenkarthrose gekommen, so hat die Hand Schiffbruch erlitten. Zur Linderung der Beschwerden verbleibt dann als letzte Alternative nicht selten nur die Arthrodese, d.h. die operative Versteifung des Handgelenks. Deshalb sind sportmedizinisches und handchirurgisches Knowhow gefragt, wenn beim Sportler das Kahnbein bricht. Moderne Diagnoseverfahren und schonende Operationstechnik können dieser Verletzung viel ihres früheren Schreckens nehmen.

Autor: Prof. Dr. med. Horst Rieger

Dieser Artikel stammt aus dem Archiv der ehemaligen Seite medicalsportsnetwork.de. Er wurde mithilfe der Wayback Machine (archive.org) rekonstruiert um weiterhin zur Verfügung zu stehen.