Knöchelverletzungen

Phasenadaptierte Rehabilitation von Verletzungen des Kapsel-Bandapperates des oberen und unteren Sprungegelenkes

Distorsionen und Bandverletzungen des Sprunggelenks gehören zu den häufigsten Verletzungen überhaupt. Die Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung wird auf 1 Knöchelverletzung pro 10.000 Einwohner und Tag geschätzt. Verletzungen des Kapsel-Bandapparates machen etwa 15% aller Sportverletzungen aus. Besonders gefährlich für die Bandstrukturen des Sprunggelenks sind dabei Sportarten mit häufigen schnellen Richtungswechseln und Sprüngen sowie Kontakt mit Gegenspielern. Erstaunlicherweise scheinen sich dabei die Verletzungs­raten von Freizeit- und Hochleistungssportlern nicht wesentlich zu unterscheiden.

Risikofaktoren für Knöchelverletzungen

Der wichtigste Risikofaktor für das Erleiden einer Knöchelverletzung ist, dass in der Vergangenheit bereits eine oder mehrere Sprunggelenkverletzungen aufgetreten sind.
Für die Allgemeinbevölkerung (Nicht-Sportler) kann aus einem Review qualitativ hochwertiger Studien geschlossen werden, dass innerhalb von 3 Jahren nach einer Knöchelverletzung bis zu 34% der Patienten mindestens eine Rezidivverletzung erleiden. Bei Sportlern beträgt die Rezidivrate bis zu 73%. So ist das Risiko, nach einer Knöchelverletzung eine Rezidivverletzung zu erleiden, beispielsweise bei Fußballspielern um den Faktor 2 bis 5 erhöht.

Ein Ungleichgewicht der Kraft der verschiedenen Gruppen der Unterschenkelmuskulatur führt bei Sportlern zu weiteren Risikofaktoren für eine Knöchelverletzungen
Für Sportler, insbesondere für Fußballer, ist von Bedeutung, dass Athleten mit rezidivierenden Knöchelverletzungen länger für Training und Wettkämpfe ausfallen als Sportler, die sich zum ersten Mal verletzt haben.

Therapie der akuten Kapsel-Bandverletzungen des Sprunggelenkes

Die Therapie der akuten Kapsel-Bandverletzungen des Sprunggelenkes hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt. Galt früher die Operation als Therapie der Wahl, so hat sich in den letzten Jahren die funktionelle Behandlung mit Orthesen eindeutig durchgesetzt. Die Ergebnisse der beiden Behandlungen sind in etwa vergleichbar, hingegen finden wir bei der konservativen Therapie deutlich weniger Risiken und auch geringere Kosten.

Wenngleich die Behandlung nicht mehr operativ ist, muss die Verletzung doch ernst genommen werden. Neben Verletzungen des lateralen und medialen Bandapparates kann das Distorsionstrauma auch zu anderen Verletzungen der Supinations- oder Pronationskette führen. Dies sind unter anderem Knochenkontusionen, knöcherne Bandausrisse bis hin zu Frakturen und osteochondralen Läsionen. Nur bei konsequenter Einhaltung und Beachtung der Behandlungsrichtlinien heilen etwa 80?% aller Verletzungen unter konservativer Behandlung aus. Wird dies nicht berücksichtigt so muss man mit Komplikationen wie Rezidivtrauma und chronische Instabilität rechnen.
Bis zu 20?% der Patienten können im weiteren Verlauf eine sogenannte chronische Instabilität entwickeln.

Dies wird dadurch begründet, dass das Risiko einer erneuten Verletzung im ersten Jahr nach einer solchen Verletzung etwa 8–10 mal so groß ist als bei Unverletzten. Weiterhin scheint häufig eine Störung des neuromuskulären Regelkreises vorzuliegen, was man als funktionelle Instabilität bezeichnet. Das Zusammenspiel der aktiven Stabilisierung (neuromuskuläre) und der passiven Stabilisierung (Kapsel-Bandapparat) ist von großer Wichtigkeit für die Gesamtstabilität.

Ist einer dieser beiden Stabilisierungsformen nachhaltig schwer geschädigt und kann die andere dies nicht kompensieren, kommt es zur chronischen Instabilität mit rezidivierenden Distorsionen. Diese können häufig schon bei leichten Unebenheiten im Sinne eines Bagatelltraumas auftreten.

Konservative Behandlung sollte deshalb nicht eine Spannbreite zwischen elastischen Binde und Gipsbehandlung darstellen, sondern den modernen Gesichtpunkten der funktionellen Rehabilitation Rechnung tragen. Aus diesem Grund sollte ein modernes Behandlungskonzept alle Faktoren der Stabilisierung berücksichtigen und entsprechend adaptiv begleiten.

Rehabilitationskonzept

Die Rehabilitation und Reparatur von verletztem Gewebe unterliegt verschiedenen Gewebeheilungsphasen. Während die Muskulatur eine insgesamt schnelle Heilungsrate aufweist, können etwa Sehnen eine Reparaturzeit von mehren Monaten aufweisen. Selbstverständlich sind diese Angaben allgemeingültig und können je nach biologischem Alter und vor allem auch nach dem Schweregrad der Verletzung entsprechend variieren.
Houglum hat die Bedeutung der Berücksichtigung der Phasen und Zeiträume der Heilung für eine adäquate, effiziente und effektive Rehabilitation betont.

Es gibt keinen breiten Konsens darüber, wie lange die Heilung eines verletzten Bandes bis zur Restauration der normalen Dehnungsfestigkeit dauert. Die Angaben in der Literatur reichen von 16 bis 50 Wochen bis zum Wiederereichen von 85–95?% der normalen Reißfestigkeit. Sicher ist aber auch, dass eine mechanische Belastung des Kollagens in der Reifungsphase dazu beiträgt, die Kollagenfasern zu organisieren und die Festigkeit der Narbe zu erhöhen. Darüber hinaus hat körperliche Aktivität einen positiven Effekt auf den Stoffwechsel, die Belastbarkeit und die Heilung der muskuloskelettalen Gewebe.

Die Behandlung muss sich am biologischen Heilungsprozess orientieren. Die Initialtherapie ist darauf gerichtet, eine übermäßige Schwellung und weitere Verletzung zu vermeiden, damit das Gewebe den Heilungsprozess starten kann. In den ersten ein bis drei Wochen sprießen Blutgefäße ein, proliferieren Fibroblasten und neues Kollagen wird gebildet.

In dieser Phase ist ein Schutz des Gewebes vor übermäßiger Inversion/Supination erforderlich, um einer überschießenden Bildung des schwächeren Kollagens vom Typ III vorzubeugen, das zu einer chronischen Elongation (Überdehnung) des Bandes beitragen kann.

Etwa 3 Wochen nach der Akutverletzung beginnt das Kollagen zu reifen. In dieser Phase fördert eine kontrollierte mechanische Belastung die richtige Orientierung (Ausrichtung) der Kollagenfasern. Darüber hinaus verhindern Bewegung, Dehnungs- und Kräftigungsübungen schädliche Immobilisierungeffekte auf Muskulatur, Gelenkknorpel und Knochen. Während der Heilung des Bandes reift das Kollagen weiter, so dass eine vollständige Rückkehr zur normalen Aktivität 4–8 Wochen nach der Akutverletzung möglich ist.

In der Behandlung von Bandverletzungen des Sprunggelenks haben sich Stabilisierungsorthesen durchgesetzt und bewährt. Allerdings erscheint aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage über die Häufigkeit chronischer Beschwerden nach einer akuten Knöchelverletzung das Konzept einer einzigen Orthese für alle Behandlungsphasen in Richtung eines Stufenkonzepts verbesserungsbedürftig.

In den ersten Tagen nach der Verletzung ist eine weitgehende Immobilisierung des Sprunggelenks in plantigrader Stellung des Fußes zu empfehlen, um den posttraumatischen Entzündungsprozess zum Abklingen zu bringen. Danach empfiehlt sich tagsüber eine seitliche Stabilisierung des Sprunggelenks gegen Supinationsbelastungen, wobei jedoch Plantarflexion und Dorsalextension des Fußes zugelassen werden.

Damit kann der Patient wieder normal gehen. Problematisch für den Heilungsprozess sind vor allem die Nachtstunden: Beim Liegen fällt der verletzte Fuß häufig automatisch in eine Supinationsstellung. Hier besteht die Gefahr, dass die tagsüber geheilten Bandstrukturen erneut rupturieren. Daher sollte der Fuß nachts durch eine Schiene in Neutralstellung stabilisiert werden. Nach Abschluss der Heilung ist insbesondere bei Patienten, die regelmäßig Sport treiben, eine sensomotorische Unterstützung des Sprunggelenks durch eine Bandage zu empfehlen.

Wir gliedern unser Therapiekonzept in drei Phasen. Dabei wird die Orthese schrittweise an die Heilungphasen adaptiert und von Übungsformen, die sich an modernen Aspekten der Rehabilitation orientieren, begleitet.

Phase I, Entzündungsphase

(1. bis 3. Tag)
Im Vordergrund dieser Phase steht die Immobilisierung, Stabilisierung, Abschwellung und das Pain-Management. Durch die kontrollierte Ruhigstellung des Fußes kommt es zu einer deutlichen Abnahme des Schmerzes und im weiteren zur Abschwellung. Die klassischen primären Behandlungsprinzipien (RICE: rest – ice – compression – elevation) stehen im Vordergrund der Behandlung. Die Orthese wird angelegt und so, bis zum Abklingen der primären Schwellung und der starken Schmerzen getragen. Diese Phase ist je nach Verletzungsausmaß etwa nach 4 Tagen abgeschlossen und geht dann nahtlos
in die nächste Heilungsphase über.

Phase II, Proliferationsphase

(4. bis 28. Tag)
Die kontrollierte, sich an der Funktion des Fußes orientierte Belastung kann stufenweise gesteigert werden. Die Lagerungsschiene wird nur noch nachts getragen, während am Tag eine variable Kombination aus Stabilisierungselementen und semielastischen Stabilisierungsgurt die Beweglichkeit und Funktion des Fußes unter Kontrolle erlaubt. In dieser Phase sollte eine kontrollierte Bewegung des Fußes stattfinden, da sich im Rahmen der Narbenbildung das Reparaturgewebe bereits in der Hauptbelastungsrichtung orientieren kann. Weiterhin scheint die neuro-muskuläre Kontrolle des verletzten Fußes in ganz erheblichem Maße von einer dosierten Belastung abhängig zu sein.

Phase III, Remodulationsphase

(29. bis 42.Tag)
In der letzten Phase wird im zunehmendem Maße nur noch der „ innere Teil“ der Orthese im Sinne einer Funktionsbandage eingesetzt. Diese kann auch präventiv, gerade in den bekannterweise verletzungsträchtigen ersten 3 Monaten als Rezidivprophylaxe eingesetzt werden. Hier gilt es das vernarbte Gewebe weiter an die Belastung zu gewöhnen und eine entsprechende Zugfestigkeit zu erlangen.

Im Rahmen einer Studie am Institut für Biomechanik und Orthopädie, Deutsche Sporthochschule Köln (Prof. Brüggemann) erfolgte eine quantitative Prüfung des mechanischen Umknickschutzes der Malleo TriStep® Orthese unter Berücksichtigung der drei vorgesehenen Stabilitätsstufen. Unter anderem wurde eine unerwartete Verletzungssimulation auf einer pneumatisch angetriebenen Kippplattform mit 30° Inversion und 30° Inversion bei gleichzeitig 10° Plantarflexion untersucht.
Die Sprunggelenksorthese zeigt sich in Bezug auf die primäre Inversions- oder Umknickkontrolle der Baseline (ohne Orthese) signifikant überlegen und ist damit wirksam. Die drei Varianten der Malleo-TriStep konnten in Bezug auf ihre stufenartig progressive Wirkung positiv evaluiert werden.

Die konstruktiv gewählten drei Stufen generieren Entlastungen (Reduktion der Dehnung des lateralen Kapsel-Bandapparates) von 70% (Phase I), 30?% (Phase II) und 15?% (Phase III) bei Umknicksituationen und von 95?% (P I), 75?% (P II) und 50?% (P III) in passiven und nicht muskulär kontrollierten Situationen wie der geprüften Schlafsimulation. Damit konnten zum einen die biomechanische Wirksamkeit der Orthese nachgewiesen und zum anderen die progressive Wirksamkeit des Konzeptes für die drei Phase der Rehabilitation gezeigt und in ihrer prozentualen Wirkung quantifiziert werden.

Neben den biomechanischen Untersuchungen zeigen die bisherigen klinischen Anwendungsstudien sehr aussichtsreiche Ergebnisse mit kurzen Arbeitsausfällen und rascher Reintegration in den Arbeitsprozess und vor allem in den Sport.

Fazit

Eine konservative Behandlung von Verletzungen des Kapsel-Bandapparates des oberen Sprunggelenks sind in etwa 80% der Fälle erfolgreich. Eine konsequente Therapie ist jedoch Vorraussetzung. Diese beinhaltet neben dem Behandlungsschema RISE das Tragen einer Orthese, die sich den biologischen Prozessen anpassen kann. Die Wirksamkeit einer solchen Orthese wurde in einer Studie am Institut f. Biomechanik u. Orthopädie an der Deutschen Sporthochschule Köln nachgewiesen.

Autor: Dr.med. Andree Ellermann

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