Ostitis pubis – Grund chronischer Leistenschmerzen

Der chronische Leistenschmerz gehört auch heute noch zu den häufig ungeklärten Problemen in der sportmedizinischen Praxis. Die Diskussion über die möglichen Ursachen dieses Leistenschmerzes verlagerte sich in den letzten Jahren zunehmend von der Leistenregion hin zu Erkrankungen, die nicht unmittelbar die Leiste betreffen

Zwei Erkrankungen haben hierbei in letzter Zeit bei der Diskussion um den Leistenschmerz des Sportlers zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies betrifft zum einen die frühen Veränderungen bzw. Verletzungen des Hüftgelenks, die mit anhaltenden Leistenschmerzen einhergehen können und zum anderen die im Rahmen der Diagnostik des Leistenschmerzes in der MRT immer wieder beschriebene Schambeinentzündung (Ostitis pubis). Die Bedeutung des Befundes einer Ostitis pubis für die vom Patienten beklagten Leistenschmerzen scheint jedoch oftmals unklar. Ziel dieser Arbeit ist es, den Kollegen und den behandelnden Physiotherapeuten einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Erkenntnis bezüglich der Schambeinentzündung zu geben.

Was versteht man unter einer Schambeinentzündung?

Ursprünglich war die Schambeinentzündung (Ostitis pubis) eine bakterielle Erkrankung des Schambeins, die nach gynäkologischen und urologischen operativen Eingriffen auftrat. Diese Form der Schambeinentzündung, die heutzutage eine Rarität darstellt, ist mit starken Schmerzen, Fieber und massiv erhöhten Entzündungsparametern verbunden. An sie sollte gedacht werden, wenn bei den Patienten insbesondere urologische Operationen vorausgegangen sind. Diese Form der Ostitis pubis muss strikt von der hier im Weiteren zu besprechenden Ostitis pubis getrennt werden. Sowohl die Patientengruppe als auch das Beschwerdeprofil unterscheiden sich völlig voneinander.

Die Patientengruppe mit einer diagnostizierten Ostitis pubis, von der hier gesprochen werden soll, ist jünger und sportlich äußerst aktiv. Im Rahmen der Diagnostik des Leistenschmerzes oder eines Adduktorenschmerzes wird mittels einer MRT irgendwann die Diagnose einer Ostitis pubis durch den Radiologen gestellt. Mangelndes Wissen um diese Diagnose, gepaart mit medienwirksam inszenierten Erkrankungsfällen, bei denen die Ostitis pubis als Ursache einer langen sportlichen Inaktivität bzw. für ein Karriereende des Leistungssportlers verantwortlich gemacht wird, führt häufig dazu, diese zunächst radiologische Diagnose ungeprüft zu übernehmen und sie dem Patienten gegenüber als Diagnose zu verwenden sowie zugleich darauf zu verweisen, dass es therapeutisch nur wenige Optionen gibt. Tatsächlich ist die Ostitis pubis aber zunächst einmal eine radiologisch beschriebene Diagnose, die ein Ödem im Schambeinknochen beschreibt. Diese Feststellung kann nicht oft genug wiederholt werden. Bereits seit den Untersuchungen von Verral und Lovell wissen wir, dass keine strenge Korrelation zwischen diesem radiologischen Befund und der klinischen Symptomatik des Athleten besteht.

Die australische Arbeitsgruppe um Lovell und Verral wies überzeugend nach, dass mit zunehmender Belastung im Sport diese radiologischen Phänomene im Schambeinknochen zunahmen, ohne dass es zwingend zu Beschwerden bei den Sportlern kam. Im Umkehrschluss kann dies eben aber auch heißen, dass Schmerzen in der Leistenregion, kombiniert mit einer in der MRT nachgewiesenen Ostitis pubis, nicht zwangsläufig auf diese zurückgeführt werden können.

Diagnostisches Vorgehen

Unsere eigenen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Diagnose einer Ostitis pubis nicht ausreicht, um eine erfolgreiche Therapie bei dem Patienten durchzuführen. Es geht im Rahmen der weiteren Diagnostik darum, Begleiterkrankungen aufzudecken, die eine Ostitis pubis unterhalten oder einen Leistenschmerz auslösen können. Fragt man nach den Symptomen, die ein Patient mit einer Ostitis pubis hat, so unterscheiden sie sich nicht von denen eines Patienten mit chronischer Insertionstendopathie bzw. mit einer sog. „weichen Leiste“. Neben dem Leistenschmerz finden sich regelmäßig ein Schmerz bei der isometrischen Adduktion des Beins und ein positiver Lift up-Test. Auch aus diesem Grund führte Hölmich den Begriff des long standing groin pain ein, der das Problem besser zu umreißen scheint. Es handelt sich bei den Patienten, über die wir sprechen, um Athleten, die einen leistenassoziierten Schmerz haben und bei denen zusätzlich radiologisch eine Entzündung des Os pubis nachgewiesen wurde.

Fragt man nach den Ursachen einer Schambeinentzündung, so sind diese bis heute nicht geklärt, auch wenn verschiedenste Erklärungsversuche bisher gemacht wurden. Was sicher zu sein scheint, ist, dass eine hohe Belastungsintensität, gekoppelt mit athletenspezifischen anthropomorphen Eigenschaften, notwendig ist, um eine symptomatische Ostitis pubis auszulösen. Wir wissen auch, dass nicht alle Sportarten in gleichem Maße die Entwicklung einer Ostitis pubis initiieren. Im sportmedizinischen Fokus stehen Kontaktsportarten wie Fußball und Eishockey sowie zunehmend die Langstreckenläufer mit einer hohen wöchentlichen Laufbelastung. Ist einmal die Diagnose einer Ostitis pubis im MRT durch den Radiologen gestellt worden, muss man sich über die möglichen Ursachen bzw. die begleitenden Pathologien bei dem Patienten Gedanken machen. Dies verlangt neben einer ausführlichen Anamneseerhebung, die insbesondere akute muskuläre Verletzungen erfragt und sie von dem häufiger auftretenden schleichenden Krankheitsverlauf trennen.

Die klinische Untersuchung muss sich auf die immer wieder auftretenden Komorbiditäten konzentrieren. Hierzu zählen insbesondere Erkrankungen des Hüftgelenks wie die verschiedenen Impingmentsyndrome und Läsionen des ventralen Labrums. Neben dem Hüftgelenk müssen die Erkrankungen der Leistenregion wie die Leistenhernie und die sog. „weiche Leiste“ ausgeschlossen werden. Hierzu reicht es nicht aus, den äußeren Leistenring zu palpieren. Ein sicherer Ausschluss gelingt nur mit einer Ultraschalluntersuchung durch einen in diesem Verfahren und in dieser Region geübten Untersucher. Mit der Sonografie ist es somit möglich, frühe Leistenpathologien zu visualisieren wie kleinere Leistenhernien am inneren Leistenring und die „weiche Leiste“, d.h. eine beginnende Instabilität der Hinterwand des Leistenkanals. Denken sollte man auch an kleinere Verletzungen der Leistenregion mit Narbenbildung und anatomisch bedingte Nervenkompressionssyndrome des Leistenkanals. Eine dritte große Gruppe sind die Erkrankungen der Sehnenansätze, die sog. chronische Tendopathie der Adduktorensehnen.

Die differenzialdiagnostischen Erwägungen umfassen schließlich noch Erkrankungen der unteren Wirbelsäule und des Beckens. Ein BSP sollte klinisch und wenn nötig, radiologisch ausgeschlossen werden. Ergänzt werden diese Befunde durch einen physiotherapeutischen Status, der sowohl aufsteigende bzw. absteigende muskuläre Ketten aufdeckt und so einen weiteren funktionellen Ansatz der Behandlung liefert.

Therapeutische Möglichkeiten

Die Behandlung der Ostitis pubis ist, hat man den Patienten genau untersucht, nur dann folgerichtig und erfolgversprechend, wenn man die gefundenen Pathologien gewichtet und sie abhängig von ihrer Bedeutung therapiert. Beim Vorliegen einer Leistenpathologie kann dies in einer operativen Therapie der Sportlerleiste bestehen, bei Kompressionssyndromen der Leistennerven in einer temporären Neuraltherapie oder bei einem Hüftschaden in einer intraartikulären probatorischen Injektion oder ggf. in einer Arthroskopie des Hüftgelenks. Tendopathien der geraden Bauchmuskulatur und der Adduktoren werden konservativ physiotherapeutisch oder mittels lokaler Injektionstherapie sowie radialer Stoßwellentherapie behandelt.

Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist, dass der behandelnde Arzt eine Vorstellung von der Komplexität der Diagnose einer Ostitis pubis hat und mit dem Patienten einen Therapieplan entwickelt, der auf den erhobenen Untersuchungsergebnissen beruht, die Pathologien behandelt und während der Behandlung ein Feedback garantiert, das es dem Arzt ermöglicht, auch zeitnah zu reagieren und nichtwirksame Behandlungen abzubrechen. Entscheidend ist weiterhin, dass dem Therapeuten klar sein muss, dass eine Vielzahl von Athleten Doppelpathologien besitzen und nur eine parallele Behandlung beider Erkrankungen einen Erfolg garantiert.

Fazit

Die in den letzten Jahren in den Fokus des Interesses gerückte Schambeinentzündung des Leistungssportlers ist nur selten eine eigenständige Diagnose. Häufig ist sie, als chronischer Leistenschmerz in Erscheinung tretend, mit anderen Erkrankungen assoziiert. Für den Erfolg einer Behandlung der Ostitis pubis ist die Aufdeckung von Begleitpathologien von entscheidender Bedeutung.

Autor: Dr. med. Jens Krüger

Dieser Artikel stammt aus dem Archiv der ehemaligen Seite medicalsportsnetwork.de. Er wurde mithilfe der Wayback Machine (archive.org) rekonstruiert um weiterhin zur Verfügung zu stehen.